Demokratie in diesen Zeiten

Kategorie: Demokratie verfasst von Metin veröffentlicht am 10.01.2018

In den vergangenen Monaten haben mich besonders viele Zuschriften von Menschen erreicht, die die aktuelle internationale Politik verunsichert, die von der Politik in unserem Land enttäuscht sind und von denen einige dem demokratischen Prozess ablehnend oder zumindest kritisch gegenüberstehen. Neu ist diese Entfremdung nicht. Eine gewisse Distanz zur Demokratie erleben wir schon seit Jahren.

Dieser Artikel erschien zuerst im Hamburger Kurs, dem Hamburg-Teil des SPD-Zentralorgans „Vorwärts“.

Sinkende Wahlbeteiligung und ausbleibendes Engagement in politischen Parteien sind Phänomene, die nicht nur uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten schon immer herausfordern. Neu ist jedoch die Dimension der Unzufriedenheit mit der Demokratie. Die Zahl der Briefe und E-Mails sind dafür ein Zeichen, aber auch das Wahlverhalten der Bürgerinnen und Bürger.

Ich kann ihre Verunsicherung verstehen: Die Konflikte etwa in Syrien, Nordafrika oder Afghanistan dauern zwar schon lange an, erreichen uns aber in Gestalt der vielen Flüchtlinge nun ganz unmittelbar. Wie sollen wir diese Herausforderung nur meistern, fragen sich viele. Sind wir dem gewachsen? Tatsächlich ist die Flüchtlingskrise eine Mammutaufgabe für unser Land. Sie darf aber nicht zu einer Bewährungsprobe für unsere Demokratie umgedeutet werden. Parteien wie die AfD versuchen diese Krise als Hebel zu benutzen, um unser demokratisches System insgesamt in Frage zu stellen. Sie simplifizieren fahrlässig die Lage: Wer mit der Parole “Grenzen dichtmachen” meint, Menschen auf der Flucht vor Krieg und Bedrohung fernhalten zu können und das eigenen Land zu schützen, bringt es in Wahrheit in Gefahr.

Die Motive für solche Lösungsansätze sind augenfällig: Je schwieriger und komplexer ein Problem ist, desto größer wird die Sehnsucht nach einfachen Antworten, die Zuspruch und Wählerstimmen garantieren. Die Vereinfachung der Probleme führt aber nicht zu ihrer Lösung. Mit „Schlechte Laune ist noch kein Konzept“, bringt Olaf Scholz diesen Umstand treffend auf den Punkt. Solche Vereinfachungen führen im Ergebnis zu noch mehr Frustration bei den Menschen in unserem Land. Sie bewirken nur eine Legitimationskrise unserer Demokratie. Der demokratische Prozess ist Schwerstarbeit, der Kompromiss sein Erfolgsmodell. Von Beginn an hat die Bundesrepublik ein auf Mäßigung angelegtes Gemeinwesen zu sein, erfolgreich gemacht. Der Kompromiss war seine Königsdisziplin.

Die SPD ist die Partei, die sich in ihrer langen Geschichte nie zu einfachen Antworten geflüchtet hat, gerade auch dann nicht, wenn – wie etwa in der Weimarer Republik – andere sich dem Sog der vermeintlich einfachen Lösungen nicht entziehen konnten. Sie folgte der Erkenntnis, dass Demokratie Zeit braucht: Zeit zum politischen Gespräch, zum Streiten, zum Innehalten. Die demokratischen Parteien müssen das etablierte System demokratischer Lösungsfindung unter dem Dauerfeuer populistischer und rechtsradikaler Gegner verteidigen. Dieser Verantwortung müssen wir uns heute wieder stellen. Demokratische Kultur ist nicht nur in der aktuell dominanten Flüchtlingskrise gefragt. Die Herausforderungen, die wir in den kommenden Jahren und Jahrzehnten bewältigen müssen, sind vielfältig. Sie betreffen den Demografischen Wandel mit seinen sozial- und gesellschaftspolitischen Herausforderungen, den Klimawandel, den Wandel auf dem Arbeitsmarkt durch die voranschreitende Digitalisierung der Industrie und den Arbeitswelten –Stichwort: Arbeit 4.0. Wir werden weiterhin über den angemessenen Umgang mit in Not geratenen Staaten wie Griechenland diskutieren.

„Die SPD“, sagte Olaf Scholz in einem jüngst gegebenen Interview zur Flüchtlingskrise, steht für “einen pragmatischen Humanismus”. Eine Politik, die sich an Werten orientiert und gleichzeitig das Machbare im Blick behält, ist der richtige Ansatz, um gegenwärtige und künftige politische Herausforderungen zu bewältigen, die von den Menschen in unserem Land mitgetragen werden.

Dieser Artikel erschien zuerst im Hamburger Kurs, dem Hamburg-Teil des SPD-Zentralorgans „Vorwärts“.